Bei mir im Bekanntenkreis sind in den letzten Monaten mehrere Babies zur Welt gekommen. Und oft hieß es: „Ach, es ist ja alles so entspannt, das Kind schläft und die Mutter macht das ganz toll.“ Oder: „Irgendwie geht die gar nicht raus, das scheint alles ganz schön schwierig zu sein.“
Immer ist der Unterton: 1. „Klar, Mama X ist ja soooo entspannt, da ist es das Kind natürlich auch.“, oder eben: „Klar, Mama X ist ja so unentspannt, kein Wunder, dass das Kind viel schreit.“
Unentspannte, erste Wochen
Hier also mal in aller Deutlichkeit: Ob Kinder in den ersten Wochen viel schreien, hat NICHTS, oder zumindest nur sehr, sehr wenig, mit der entspannten Haltung der Mutter beziehungsweise der Eltern zu tun.
Oft behaupten das Freunde ohne Kinder. Und die würde ich alle gerne mal ein paar Stunden mit einem brüllenden Säugling in ein Zimmer stecken. Und sie danach zu ihrem Entspannungsgrad befragen!
Die Wahrheit ist: Manche Neugeborene sind tatsächlich „pflegeleicht“. Sie brüllen nicht ohne ersichtlichen Grund, sie liegen und schlafen viel. Wenn dann auch noch die Nächte ok sind, wenn die Mama sich psychisch gut fühlt, und das mit dem Stillen klappt: Gratulation!
Dann steht den ersten, entspannten Wochen nix im Weg. ABER: Sehr viele Neugeborene sind eben einfach nicht so. Sie schreien, scheinen ständig unzufrieden, sie wollen auf keinen Fall im Kinderwagen liegen, überhaupt brüllen sie um ihr Leben, wenn sie abgelegt werden, schlafen überhaupt nur auf oder an einem menschlichen Körper, krümmen sich, und schreien und schreien und schreien.
Dazu Stillprobleme und Dauerstillen, Wäscheberge, Chaos und das Gefühl, nichts, nichts, nichts gebacken zu bekommen. Es sind meist nur Stunden, Tage, maximal Wochen. Aber die Mütter (und Väter) leiden. Mütter stillen gefühlt permanent, die restliche Zeit wird mit Rumtragen und Tragetuch-Verwurstelungen zugebracht.
Dazwischen wird gestritten, man ärgert sich über den teuer angeschafften Kinderwagen und den hübschen Stubenwagen und bestellt dafür bei Amazon einen schicken Pezi-Ball zum Schunkeln. Hebammen werden verzweifelt ausgefragt, und immer denkt man: Warum passiert mir das, warum ist mein Kind so unzufrieden?
Ein Schreikind? Ist das ansteckend?
Eine Freundin, deren Baby wirklich wochenlang jeden Abend stundenlang schrie, war irgendwann nervlich am Ende. Und heute ärgert sie sich vor allem darüber, dass sie überhaupt erzählt hat, sie habe ein Schreikind. Denn die Reaktionen waren entsetzte, mitleidige Gesichter.
Hilfe hat keiner so richtig angeboten, es schien so, als wüsste man einfach nicht, wie man mit einer so schrecklichen Sache, wie einem Schreikind umgehen soll. Als hätte sie eine unheilbare, ansteckende Krankheit gehabt!
Dabei gibt es vieles, was Freunde und Verwandte tun können:
1. Verständnis zeigen – es ist einfach nicht selten, dass Babies am Anfang Zeit und unfassbar viel Zuwendung brauchen und diese auch lautstark einfordern.
2. Hilfe anbieten! Sei es, das Kind mal abzunehmen, Essen vorbeizubringen, die Wohnung auf Vordermann zu bringen. Oder auch: behilflich dabei sein, Hilfe zu finden! Es gibt Schreiambulanzen, die Eltern mit Profi-Support zur Seite stehen.
3. In Ruhe lassen, wenn das gewünscht wird. Vorgeworfene Sätze wie: „sie hat schon wieder abgesagt“, sind unangebracht. Stattdessen fragen: Was ist los? Kommst du klar? Sei ehrlich! Kann ich irgendwie helfen? Es ist nicht peinlich oder beschämend, wenn man in den ersten Wochen nicht klar kommt. Es ist völlig normal!
Und es gibt auch vieles, was die Mamas und Papas machen können, um unbeschadet durch diese Wochen zu kommen. Ich spreche hier aus Erfahrung. Xaver hat sich zwar meist relativ schnell beruhigen lassen. Aber auch wir hatten Wochen voller Geschrei, Unsicherheiten, durchgetragenen, durchwachten Nächten.
Es gab Tage, da war nur Geschrei, Stillen oder Schlafen (immer nur auf uns drauf). Wir waren völlig ausgelaugt und fertig. Was war nur los? Die ersten zwei Wochen hatte er doch noch selig vor sich hin gedöst? Es hat lange gedauert, bis wir seine Zeichen lesen konnten.
Er war oft müde, und schaffte es nicht, einzuschlafen. Je müder er wurde, umso mehr schrie er, umso müder wurde er … Das hatte mir vorher niemand gesagt, dass Babies so schreien, weil sie MÜDE sind! Ich dachte immer: dann schlafen sie eben. Aber vielen Babies fällt es schwer, abzuschalten, all die neuen Reize sind zu viel, sie können das noch nicht selbst regulieren und ausschalten.
Koliken gibt es wohl!
Sein zweites Problem war die Verdauung. Er krümmte sich permanent, pupste und litt. Deshalb war der ach so tolle Trick: einfach immer an die Brust, wenn das Baby weint (hilft ja auch beim Einschlafen), bei uns absoluter Unfug.
Sein kleiner Magen war noch überforderter, er war noch unzufriedener, verweigerte die Brust. Eine Osteopathin schaffte es schließlich, viel Luft aus seinem Bauch „herauszudrücken“. Sie gab mir auch einige Ernährungs-Tipps.
Und alleine schon, dass mir ein Profi sagt, dass er wirklich Bauchweh hat. Das war so viel wert. Denn den Spruch: „Koliken gibt es nicht“, den hasse ich fast so sehr wie: „Ist die Mutter entspannt, ist es auch das Kind.“ Stimmt nämlich nicht!
Alles ausprobieren …
Hier also meine (unvollständige) Liste an Tipps, wenn alles nicht so rund läuft, wie man es sich vorgestellt hat:
1. Mach einen Termin beim Osteopathen. Viele, viele, viele Babies haben Blockaden und andere kleinere Traumata, oft durch die Geburt. Osteopathen sind Wunderheiler und haben schon so manches Schreikind zum Entspannen gebracht!
2. Lass den Kinderwagen einfach stehen. Finde dich damit ab, dass das Baby jetzt auf und an dir wohnt. Es wird nicht für immer so sein und es ist angenehmer, als immer wieder Geschrei zu ertragen. Besorg dir ein Tragtuch, lass dir zeigen, wie das geht. Oder eine Tragehilfe! Wenn das Kind nur im Fliegergriff still ist (wie bei uns …): Halte durch … Es wird vorbei gehen. Und: Wechselt euch ab! Oft kann der Papa sogar besser rumtragen. Nicht nur weil er stärker ist, sondern auch, weil er keine verführerisch riechende Milch hat, die das Baby zusätzlich nervös machen kann.
3. Hol dir ein Stillkissen, pack dir nochmal extra Kissen in den Rücken, setz dich aufs Sofa, oder leg dich ins Bett und: Still einfach, wenn du meinst, es könnte jetzt gut sein. Gute Still-Abstände pendeln sich meist nach ein paar Wochen von selbst ein. Am Anfang ist Dauerstillen normal. Ich habe so unter wunden Brustwarzen gelitten, dass dieser Tipp für mich hinfällig war, dazu die Bauchschmerzen … Aber bei Manchen ist das echt einfach wirklich das Beste.
4. Akzeptiere das Chaos, und dass du NICHTS schaffst. Deine Prioritäten sind jetzt anders. Duschen kann schon ganz schön weit nach hinten rutschen auf der Prio-Liste. Mach keine Termine, aber: Geh raus! Den meisten Babies tut es gut, wenn jeden Tag ungefähr das Gleiche passiert, und wenn sie morgens schnell an die frische Luft kommen. Also: Aufwachen, stillen, duschen, anziehen und RAUS! Das war bei uns das Wundermittel. Manchmal sind wir auch nachts nochmal um den Block gelaufen, hach ja, war das schön …
5. Hol dir diesen Gymnastikball und stell den Stubenwagen irgendwo hin, wo er dich nicht sauer macht. Bei uns stand er im Bad. Und morgens, nach dem Aufwachen und mit dem Geplätscher der Dusche, da lag Xaver auch ab und zu echt ein paar Minuten darin! Sonst wachte er meistens schon auf, wenn ich nur daran dachte, ihn irgendwo hinzulegen.
6. Probier alles, was gegen Bauchweh helfen könnte: Cavum Carvi Zäpfchen, Windsalbe, Kirschkernkissen, Bauchlage, Schnuller, Stilltee. Keine Zwiebeln essen, keine Milch. All das. Auch wenn’s wahrscheinlich nicht hilft. Es bewirkt immerhin, dass man sich nicht völlig unbeteiligt und ergeben fühlt. Man hat es schließlich alles versucht!
7. Probier alles aus, was sonst noch helfen könnte: Wippen, Bälle, Musik, die laufende Spülmaschine, das Tragetuch, das Kuscheltuch, den Schnuller, Begrenzung (ein Nestchen, oder Pucken), konstante Ruhe und Reizarmut, frische Luft, eine Federwiege oder eine Hängematte … Ich war irgendwann absoluter Hilfsmittel-Profi. Keine Ahnung, was am Ende half. Aber irgendwann wurde es besser. Und für viele dieser Hilfsmittel bin ich noch heute dankbar!
Haltet durch … Ihr macht alles richtig.
Und zuletzt: Haltet durch! Das Märchen von den superentspannten Neugeborenen-Wochen wird eben nicht für alle wahr. Verstehen kann man es ja auch. Man stelle sich vor: 24/7 Wärme, Rauschen, Non Stop-Fütterung, Kuscheln, Herumtragen – und dann plötzlich in diese kalte Welt, all die Eindrücke, Menschen, Gerüche … Kein Wunder, dass man sich da beschwert. Und das können Babies eben nun mal nur schreiend.
Bei uns wurde es nach ziemlich genau sieben Wochen besser. Plötzlich konnte Xaver sich ein Stück weit selbst regulieren, der Bauch schien keine Probleme mehr zu machen, endlich schlief er längere Zeit am Stück und machte auch sonst einen viel ausgeglicheneren Eindruck.
Er war immer noch kein Kinderwagen-Fan (das wurde erst nach der Liegewanne besser …), aber wir hatten plötzlich regelmäßige Still-Abstände und hatten uns generell „eingependelt“. So war’s bei uns … Bei vielen dauert es drei Monate, bei manchen länger …
Aber alle Babies werden irgendwann Kleinkinder. Mein kleiner Xaver ist immer noch ein lauter, zorniger Zeitgenosse, das ist einfach sein Charakter. Er kann aber auch ein Engel sein. Er schläft nach 16 Monaten wie eine Eins in seinem eigenen Bett und irgendwann mochte er den Kinderwagen sogar lieber als die Tragehilfe.
Und auch aus den unzufriedensten Schreibabies werden oft Sonnenscheine! Dazu gibt’s eine endlich entspannte Mama und einen seligen Papa. Ende gut, alles gut.
Gelesen auf: http://www.huffingtonpost.de/isabel-robles-salgado/kinder-mutter-geburt_b_10204394.html