Osteopathen sind hautnah am Knackpunkt ihrer Patienten. Die Frage, welche Qualifikation für diese manuelle Therapie notwendig ist, wird von Juristen, Politikern und Berufsverbänden kontrovers diskutiert.
Von den Lendenwirbeln aufwärts tastet sich der 44-jährige Physiotherapeut mit beiden Händen in seiner Tübinger Praxis über den ganzen Rücken bis zum Hals des Patienten, der erst aufrecht steht und dann eine gebückte Haltung einnimmt. Der 26-jährige Student leidet an einer schmerzhaften Bandscheibenprotrusion. Diese Verschiebung der Wirbelsäule ist nicht selten die Vorstufe eines Bandscheibenvorfalls.
„Hier knackt es“, stellt der Therapeut fest, als er bei seiner osteopathischen Behandlung leicht gegen einen Wirbel im oberen Bereich drückt. „Damit habe ich den Punkt entdeckt, der für die Fehlentwicklung verantwortlich ist.“ Während sich der Patient jetzt auf der Liege ausstreckt, wird die manuelle Therapie fortgesetzt. „Damit werden die Spannungen aufgelöst und die Selbstheilungskräfte aktiviert“, erklärt der Therapeut das Prinzip der Osteopathie. „Diese Methode will den Körper mobilisieren und nicht manipulieren.“
Sieben bis acht Patienten lassen sich täglich jeweils zwischen 30 Minuten und einer Stunde von dem Physiotherapeuten mit einer Methode behandeln, die auf den amerikanischen Arzt Andrew Taylor Still (1828-1917) zurückgeht. Das Spektrum ihrer Krankheitsbilder reicht von Beschwerden im Muskel- und Skelettbereich über Tinnitus, Kopfschmerzen, Übelkeit, und Schwindel bis zu Kiefer-Deformationen. „Nach drei bis sechs Behandlungen innerhalb eines Jahres hat sich der Gesundheitszustand bei mehr als 70 Prozent meiner Patienten verbessert“, erklärt der Therapeut, der sich berufsbegleitend zum Osteopathen qualifiziert hat. „In diese Schulung habe ich mehr als 1000 Stunden und rund 10 000 Euro investiert.“
Obwohl er diese Ausbildung für ausreichend hält, denkt er darüber nach, noch einmal 3000 Euro in die Prüfung zum Heilpraktiker zu investieren. „Dann bin ich auf der sicheren Seite und kann auch in der Öffentlichkeit wieder damit werben, dass ich als Osteopath arbeite.“ Denn im Herbst hat das Oberlandesgericht Düsseldorf entschieden, dass osteopathische Behandlungen ausschließlich Ärzten und Heilpraktikern vorbehalten sind. Dieses Urteil, dem sich auch das bayerische Gesundheitsministerium angeschlossen hat, wird von den Berufsverbänden der Osteopathen kontrovers diskutiert.
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